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Neue Dienstleistungen durch Systeminnovationen
Echte Innovation ist nicht nur der Wettlauf um neue Technologien, sondern richtet sich konsequent an den Bedürfnissen der Kunden und des Marktes aus. Systeminnovation darf nicht länger bloß als lineare Weiterentwicklung – schneller, höher, weiter – betrachtet werden, sondern sie muss Kundenfreundlichkeit zum Ziel haben. Am Beispiel des Postmarktes sei beschrieben, wie eine neue Sicht auf Prozesse zu kundengerechten Dienstleistungen führt.

        


 
ie persönliche, individuelle Ansprache des Kunden wird in Zukunft ein Schlüssel erfolgreicher Kundenbetreuung und Kundenbindung sein. Weshalb dieser persönliche Zugang zum Kunden von vielen Unternehmen nicht genutzt wird, mag jeweils unterschiedliche Gründe haben. Besonders erstaunlich – wenn auch eher im negativen Sinn – ist etwa, dass selbst in Werbung und Marketing die neuen Chancen kaum genutzt werden. Man fragt sich, was mit den vielen Kundendaten unserer vielen Kundenkarten getan wird, wenn man doch nur wieder ein Massenmailing zugesandt bekommt. Ein Massenprodukt, an dem lediglich die Ansprache im Begleitbrief individuell ist. Ein ebenso simpler wie leicht durchschaubarer und daher am Ende verzichtbarer Spielzug, weil sich auf diese Weise ohnehin – und ganz zu Recht – kein Kunde mehr persönlich angesprochen fühlt.

Dies erscheint umso merkwürdiger, als die technischen Voraussetzungen für eine echte Personalisierung zweifellos vorhanden wären. Auf der einen Seite gibt es eben eine riesige Menge qualifizierter Kundendaten, auf der anderen Seite hat der Wechsel vom Offset- zum Digitaldruck die Möglichkeit geschaffen, »on Demand« zu drucken und das in sehr kleinen Losgrößen: Werbemailings, Bedienungsanleitungen, Produktbroschüren, Geschäftsberichte und vieles mehr. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man erspart sich Lagerkosten, kann sehr schnell und sehr flexibel auch auf kleine Modifikationen reagieren, kann individuell punktgenau zugeschnittene Produkte erzeugen.

Solche »on Demand«-Druckmaschinen gibt es bereits und sie werden auch eingesetzt. Was noch kaum umgesetzt wird, ist der individualisierte Druck. Am Beispiel Handyrechnung: Die Abrechnung selbst ist zwar naturgemäß individualisiert. Das beigelegte Schreiben mit den neuesten Angeboten ist aber keineswegs individuell abgestimmt, etwa auf die Telefongewohnheiten des Kunden, die sich aus seiner Telefonrechnung ergeben. Rechnungen werden heute im Grunde nur deshalb versendet, um die Werbebotschaft unauffällig beipacken zu können. In Zukunft wird die Rechnung aber kaum mehr auf Papier gedruckt und verschickt, sondern immer öfter durch rein elektronische Lösungen ersetzt werden, alleine aus Kostengründen. Worauf es heute schon und in Zukunft noch mehr ankommt, ist also der beigelegte Brief, der selbst in Zeiten des Permission-Marketings und der elektronischen Post für qualifizierte Kundenkontakte noch immer das beste Instrument ist, um eine breite Kundenschicht zu erreichen – sofern er sie eben erreicht, weil er individuelle Interessen trifft, persönliche Neugier wecken kann. Nur dann wird ein Brief von den Empfängern nicht als lästige Werbung empfunden (und entsprechend schnell entsorgt), sondern als von einem Unternehmen zur Verfügung gestelltes Wissen, das man gerne annimmt.

Von schnellen Sortiermaschinen und langsamen Postboten.
Von Flexibilität und Kundenfreundlichkeit
Die Post mit ihrer Organisation und Logistik gehört zu jenem Bereich unserer Wirtschaft, der nach wie vor von manueller Arbeit geprägt ist wie wenige andere. Zumindest auf den ersten Blick. Der Postbote muss die Sendungen seines Gebiets zuerst von Hand sortieren, zu Fuß seine tägliche Strecke abgehen und die Briefe in die richtigen Briefkästen verteilen. Langsamer kann man einen Prozess gar nicht ablaufen lassen, und das hat jetzt natürlich nichts mit der individuellen Arbeitsgeschwindigkeit des einzelnen Briefträgers zu tun. Erst auf den zweiten Blick wird man bemerken, dass jeder Brief auf seinem Weg vom Absender zum Empfänger eine Art Achterbahnfahrt absolviert, die sehr langsame und sehr schnelle Passagen hat und so erstaunlich hohe Geschwindigkeitsunterschiede aufweist.

Es beginnt ganz langsam, mit dem Einsammeln der Post, an den Briefkästen, an den Postschaltern, und dem Transport zu einem der großen Sortierzentren. Dort werden die Briefe in Hightech-Sortiermaschinen zum ersten Mal hoch beschleunigt, um anschließend wieder mit vergleichsweise gemäßigtem Tempo zu einem nächsten Sortierzentrum gefahren zu werden, wo sie noch einmal mit sehr hoher Geschwindigkeit in einer Sortiermaschine neu geordnet und schließlich am Ende auf des Briefträgers Arm ein letztes Mal geordnet und zu Fuß ausgetragen werden.

Zwei Aspekte fallen bei diesem Prozess besonders auf: Erstens, wie schon gesagt, die hohen Geschwindigkeitsunterschiede, die auf einen wenig kontinuierlichen, wenig schlüssigen Gesamtprozess schließen lassen. Ein typisches Ergebnis linearer Weiterentwicklung: Die Sortiermaschinen können durch den technologischen Fortschritt immer höheren Durchsatz in immer kürzerer Zeit erledigen, werden daher auch immer teurer und aufwändiger in der Produktion. Also kauft die Post weniger Maschinen und zentralisiert die Briefsortierung. Was zur Folge hat, dass die Wege länger werden. Zweitens: An den Randbedingungen hat sich nur wenig geändert. Die erste und letzte Meile vom und zum Kunden ist nach wie vor langsam und teuer, verbraucht um die vierzig Prozent der gesamten Logistikkosten. Das Getriebe dieses Prozesses ist also mit derart unterschiedlich ausgelegten, unterschiedlich schnellen Zahnrädern aufgebaut, dass ein geräuschfreies, reibungsfreies Ineinandergreifen dieser Zahnräder kaum möglich ist.

Einen neuen Blick aus der Perspektive des Kunden wagen
Schon aus diesen Erkenntnissen ergeben sich zwei Ansätze für eine neue Systemsicht. Ist es tatsächlich sinnvoll und für den Kunden zweckmäßig, immer schnellere, präzisere, größere Sortiermaschinen zu bauen? Und: Kann die letzte Meile flexibler, individueller, schneller und billiger gestaltet werden? Und außerdem noch kundenfreundlicher? Dazu noch ein wichtiger Punkt: Die Liberalisierung der Post wird dazu führen, dass es wesentlich mehr Mitspieler auf dem Markt geben wird, dass Kundenorientierung neu gedacht wird. Hier ergibt sich eine große Chance für neue, nutzerfreundlichere Systeme und Dienstleistungen.

Aus der Analyse von Prozess und Markt ergeben sich die Konsequenzen und Zukunftsszenarien für die Unternehmen, die Automaten und Maschinen für die Aufbereitung von Briefen herstellen und damit in einem Kernbereich des Gesamtprozesses tätig sind, fast von selbst. Die zentralen Ecksteine:

:: Das derzeitige Identifikationssystem – ohnehin schon digital erfasste Adressdaten werden im Postzentrum noch einmal gelesen und zur weiteren Identifikation mit Barcode versehen – kann sich nicht halten. Aufgaben wie Bedrucken und Codieren der Postsendungen werden von einem Großteil der Absender, den Geschäftskunden, direkt erledigt. Für den kleinen Rest privater Briefe können wir uns beispielsweise Postkastenautomaten mit integrierter Tastatur vorstellen, auf der man die Adressdaten einfach eingibt. Damit würde der gesamte Prozess des Codierens und Sortierens wesentlich vereinfacht werden, der Aufwand für die entsprechenden Maschinen wesentlich geringer.

:: Für die Logistik gewinnen intelligent geschnürte Einheiten – Postbündel beziehungsweise -behälter – eine große Bedeutung und sind die Basismodule für eine Dezentralisierung der Sortierzentren weiter an die Peripherie des Prozesses hinaus. Diese Transporteinheiten sind mit Containern vergleichbar, wie sie die globale Logistik für große Güter und lange Wege einsetzt. Wie solche Bündel geordnet sein müssen, um sie möglichst vernünftig transportieren zu können und ohne sie dazwischen öffnen zu müssen, ist eine ebenso spannende Frage wie die Struktur des Verteilernetzes, die ideale Anzahl der Hubs, von denen die Post weiter verteilt wird. Damit entsteht eine neue Systemtopologie, die gekennzeichnet ist durch das direkte Zusammenspiel von Bündelzentren und Sortierzentren, durch kurze Wege, einfachere, fortlaufende und hoch automatisierte Prozesse. Damit würden die Maschinen noch einmal entlastet werden, weil die Geschwindigkeit des Sortierens nicht mehr die entscheidende Größe ist. Klar ist in diesem Zusammenhang freilich auch, dass durch die Liberalisierung des Marktes Informationstechnologie zum Rückgrat des Gesamtsystems wird, für Abrechnung, Identifikation und Verfolgbarkeit der auf den Weg gebrachten Postsendungen.

:: Und ebenfalls klar ist, dass auf der letzten Meile des Postwegs neue Systeme entworfen werden müssen, die kundenfreundlicher und mit einem höheren Automatisierungsgrad umzusetzen sind als heute. Ausgangspunkt jeder Überlegung müssen der Kunde und seine individuellen Bedürfnisse sein. Das könnte konkret bedeuten, frei zu entscheiden, wann und wohin man die Post geliefert haben möchte. Zum Beispiel jeden Freitagabend die Post der ganzen Woche. Oder eben früh morgens gemeinsam mit der täglichen Zeitung. Dafür wären kurze Logistikwege wie oben skizziert ebenso Voraussetzung wie ein wesentlich flexiblerer Rhythmus als der 24-Stunden-Takt, der sich im wirklichen Leben als relativ starr erweist. Basis für diese neue Art der Postverteilung könnten beispielsweise Postfächer sein, in denen die Post – automatisiert – gesammelt wird. Der Kunde, der per SMS über den aktuellen Stand seines Postfaches informiert wird, könnte nun frei und individuell entscheiden, ob und wann er seine Post abholen oder wann und wo er sie hingeliefert haben will.

Dieser neue Systementwurf ist konsequent von den Bedürfnissen der Kunden und des Marktes aus skizziert. Er verändert die Sicht auf das Kerngeschäft der Unternehmen, die Maschinen herstellen, weil diese nicht mehr nur unter dem Blickwinkel linearer Weiterentwicklung – schneller, komplexer, teurer – betrachtet werden. Er verändert die Sicht auf den Prozess, weil Leistungssteigerung nicht durch höhere Durchlaufzeiten erreicht wird, sondern durch die höhere Kontinuität des Prozesses. Er verändert die Sicht auf die bisherigen Systemgrenzen, weil sich neue, attraktive Chancen eröffnen, eben die Automatisierung der Feinverteilung, der letzten Meile und so neue Wertschöpfung generiert. Er ist ein Prototyp für Systeminnovation der Zukunft.