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Diversität und die Milieu-Perspektive
Vielfalt in Organisationen wird oftmals als Last empfunden – dabei können Kultur- und Milieudifferenzen durchaus Bereicherung sein. Statt Buntheit herrscht weitgehend erstaunliche Konformität in den Führungsriegen deutscher Großkonzerne. Sinnvolle Vorgehensweisen zur Überwindung solcher Parallelgesellschaften stecken noch in den Kinderschuhen. Wie wirkt Milieu als Hintergrund von Beziehungsgestaltung und entscheidet über Passung und Nicht-Passung von Partnern?

        


 
n vielen professionellen Begegnungen können Kultur- und Milieudifferenzen nicht positiv genutzt werden. Im Gegenteil: Milieudifferenzen werden oft aus Naivität und/oder Opportunismus als Gestaltungsfeld nicht einmal wahr- oder ernst genommen und Probleme werden lange kompensiert bzw. ertragen. Dabei bauen sich dann Empfindlichkeiten und Ungleichgewichte auf, die – je mehr verschleppt – kaum mehr konstruktiv verarbeitet werden können. Statt zu Integration oder wenigstens geklärtem Nebeneinander kommt es zu Polarisierungen und entsprechenden Ressentiments. Diese können an sich und wegen der Milieuunterschiede im Konflikt- und Krisenverhalten eher selten als gemeinsame Entwicklung aufgelöst werden.

Üblicherweise handelt man solche Probleme unter »persönlicher Chemie« ab. Wahrscheinlich gibt es auch so etwas wie persönliche Chemie und Passung zum »Stallgeruch« einer Organisation. Hier sollen jedoch Beziehungen unter dem Gesichtspunkt von Milieuwirkung und Herausforderung der Milieubegegnung betrachtet werden. Darin kann man eine gute Übung für künftige Herausforderungen in Sachen interkultureller Begegnung und konstruktivem Umgang mit Diversität sehen, denn Milieubegegnung ist auch Kultur-Begegnung. Dass über längere Strecken schon aus relativ kleinen Kulturunterschieden bei Partnern eher Reibungsverluste werden als Bereicherung durch Vielfalt wird, ist bei näherem Hinsehen gar nicht so verwunderlich.

Im Kulturtunnel
Dies ist vielleicht der Grund für manchmal erstaunliche Konformität. Wenn man sich Führungsriegen in deutschen Großunternehmen anschaut, ist unübersehbar, dass diese sehr milieuuniform zusammengesetzt sind: meist Männer ab 50, die einander irgendwie ziemlich ähnlich sehen. Offensichtlich repräsentieren sie nicht unsere Gesellschaft, sondern es sieht nach einem erheblich verkürzten Spektrum der Kultur- und Milieu-Vielfalt, die schon unsere Gesellschaft zu bieten hätte, aus. Von Vielfalt wie sie dem oft interkulturellen Engagement vieler Unternehmen entsprechen würde ist oft wenig zu bemerken. Diese wird mehr aus Notwendigkeit als aus Erwartung von Bereicherung akzeptiert. Ähnliches gilt nicht nur an der Spitze, sondern in vielen gehobenen Teams, weshalb sich gelegentlich relativ geschlossene Wirklichkeitsblasen bilden, die oft erst unter erheblicher Wirklichkeitseinwirkung von außen platzen.

Dabei ist Inzucht jeder Art für Evolution schädlich. Solche glauben manche für ganze Staaten wie z.B. Frankreich feststellen zu können, in denen viele Eliten aus ähnlichen Bildungseinsrichtungen und Milieus kommen. Sie laufen dann Gefahr, in einen »Kulturtunnel« zu geraten, in dem die Vielfalt der Lebensperspektiven verlorengeht. Die Bewegung im Tunnel wird optimiert, was durch immer mehr Konformität am einfachsten geht. Diversität als konstruktives Umgehen mit Kulturdifferenzen zur Erhaltung der globalen Wettbewerbs- und Entwicklungsfähigkeit wird als Bereicherung konkret wenig genutzt, trotz aller prinzipiellen Beteuerungen.

Nun könnte man einfach für mehr Buntheit und mehr Toleranz bezüglich kultureller Vielfalt plädieren. Doch braucht es dafür Konzepte und Kompetenzen, die Bereitschaft dem »Befremden« offen und im Dialog zu begegnen. Es braucht Spielräume und Ressourcen, um sich in Organisationen der Ankopplung, der Integration, der Komplementarität oder doch zumindest dem konstruktiven Umgehen mit schwer Vereinbarem zu stellen. Werden IT-Systeme aneinandergekoppelt, erwartet man selbstverständlich solchen Aufwand, geht es aber um Aneinanderkoppeln von Menschen, Milieus und Kulturen, kalkuliert man irrational knapp. Die menschlichen und wirtschaftlichen Folgen sind bekannt. Viele Kooperationen und Fusionen scheitern letztlich daran.

Überwindung von Milieuunterschieden
Gesellschaften bilden notgedrungen oder aus Bequemlichkeit eher Parallelgesellschaften, wie es eben nicht nur Migranten, sondern auch Führungseliten oder professionellen Gruppierungen nachgesagt wird. Dieser Mangel wird zunehmend beklagt. Dennoch stecken das Problemverständnis wie die Entwicklung von sinnvollen Vorgehensweisen eher noch in den Anfängen. Diese Herausforderung ist nicht klein und ja beileibe nicht die einzige. Es ist schon schwierig genug unter heutigen Konkurrenzbedingungen durch Organisationsprozesse Komplexität zu bändigen, Wege durch Wirrnis und unendliche Optionen zu bahnen, durch Ausrichtung und Wiederholbarkeit Effizienz zu erlangen.

Wenig in großen Mengen zu bewegen ist auch meist profitträchtiger als Vielfältiges in kleinen Auflagen. Konfektionsware kann eben zumindest vordergründig wirtschaftlicher sein als Maßgeschneidertes. Da reduziert man verständlicherweise die »Unberechenbarkeit« der Vielfalt, soweit man sich dies leisten zu können glaubt. Dieses Prinzip bildet sich dann eben auch in den Strukturen und Prozessen der Organisationen ab. Zum Beispiel sitzen leichter die zusammen, die sich als ähnlich erleben als die, die bei aller Unterschiedlichkeit zusammenwirken sollten. Dabei wäre für das Funktionieren des Ganzen teilhabende Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen meist wichtiger. Hierbei müssen durch Kommunikation, Führung und Kooperation auch Milieuunterschiede überwunden werden. Da dies unbequem ist, stößt man etwa mit vertikaler Teamentwicklung1 nicht leicht auf Gegenliebe.

Vielerorts wird schon heute viel für Kooperation und gemeinsames Lernen2 bei hoher Diversität von Professionellen getan. Unter dem Begriff interkulturelle Begegnung werden Konzepte3 dafür entwickelt und gelehrt. In diesem Text können dennoch weder umfassende Beschreibungen noch gar weitergehende Lösungen für kompetenten Umgang mit Diversität angeboten werden. Weitere Überlegungen zu Milieu als Tabuthema in Wirtschafts- und Beraterkreisen, sowie zu »gläsernen Decken und Zäunen« wie zu »Milieu-Migration« wurden bereits an anderer Stelle4 angestellt. Hier sollen vielmehr die Milieuperspektive erneut in den Fokus genommen und weitere Entwicklungen angeregt werden.

Zur Illustration ein Beispiel für Passung oder Nichtpassung aufgrund von Milieuhintergründen:
Da erzählt ein im deutschen Osten sozialisierter Professor von den Spannungen in seiner Fakultät. Diese wird von einem West-Professor geleitet. Die Unverträglichkeiten spitzen sich zu, trotz mehrfacher Klärungsversuche. Diese Unverträglichkeiten kann man sich als sachliche oder Interessen motivierte Konflikte erklären, doch erstaunt, dass man trotz Bemühungen allerseits keinen modus vivendi findet. Dann kommt ein neuer Fakultätsvorstand. Das Gespräch mit ihm verläuft völlig anders. Die Spannungen lösen sich. Ein Kompromiss wird im Äußeren gefunden. Auf die Frage, was denn jetzt anders war: »Der stammt ursprünglich auch aus dem Osten, hat eine ähnliche Geschichte wie ich. Das merkt man. Wir haben uns sofort irgendwie verstanden.«

Milieu wird hier verstanden als erlebte, in vieler Hinsicht prägende und Prägung auslösende Umwelt. Anders als in klassischen Milieubeschreibungen wird weniger von festen gesellschaftlichen Kreisen im Sinne von Schichten oder Klassen ausgegangen. In diesem Bereich der Soziologie verändern sich ohnehin sowohl die Beschreibungen wie auch die Verhältnisse, die beschrieben werden.5 Milieus bilden sich heute auf vielfältige und beweglichere Weisen. Sie zeichnen sich durch zeitweilige intensivere Binnenkommunikation und sich entwickelnde Ähnlichkeiten in vielerlei Hinsicht aus. Dabei entwickeln sich Kulturmerkmale im Sinne von Weltbildern, Erlebens- und Verhaltensgewohnheiten, die durch Teilnahme zu Selbstverständlichkeiten werden. Diese bleiben größtenteils unbewusst, man identifiziert sie aber untereinander intuitiv6 und sekundenschnell.

Ähnliche »Milieufaktoren« lösen eine Affinität zueinander aus, auch wenn innerhalb dieser »Zusammengehörigkeiten« durchaus wieder differenziert wird. Beispielsweise berichten Absolventen kulturprägender Weiterbildungen, dass sie ihresgleichen oft sofort intuitiv erkennen und sich auch leicht in der für die Weiterbildung typischen Weise miteinander abstimmen. Sie können quasi direkt in ein milieuspezifisches Vertrauensverhältnis eintreten, auch wenn sie sich persönlich davor nie begegnet sind. Dies kann als eine milieubildende Funktion der absolvierten Weiterbildung angesehen werden.

Bei Milieufaktoren handelt es sich eher um Seinsweisen als um Fertigkeiten. Übernommene Selbstverständlichkeiten7 prägen Milieuausstattung mehr als bewusster Erwerb. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie man selbst oder andere die erlebten Milieufaktoren bewerte(te)n. Sie werden dennoch »eingeatmet«, und organisieren intuitiv Erlebens- und Verhaltensweisen, wenn sie durch entsprechende Anreize aktiviert werden. Es handelt sich eher um gelernte komplexe Muster, die man selbst nicht unbedingt bewusst wahrnimmt oder zu benennen weiß. Sie strahlen hintergründig nach außen und werden von anderen intuitiv aufgenommen und beantwortet.

Passungsprobleme und Lösungsrichtungen
Milieufaktoren entscheiden mit über Passung und dies unbewusst umso mehr, wenn der Umgang mit Milieudifferenzen nicht ausdrücklich Beachtung findet. Wir haben also mit Milieu weniger als gesellschaftliches Phänomen, sondern mehr als Hintergrund in Beziehungen zu tun. Wenn Menschen sich begegnen, treffen durch sie Milieus aufeinander. Bei Milieu-Passung geht es darum, ob die sich begegnenden Milieus zueinander gefügt werden können, bei Persönlichkeits-Passung ob die Persönlichkeiten zueinander passen. Hierbei ist schwer zu unterscheiden, was als Milieu-Faktoren und was als andere Persönlichkeitsfaktoren einzustufen ist. Dies ist für die hier vorgetragenen Gedanken aber unerheblich, da es mehr überhaupt um eine Sensibilisierung für die Milieuperspektive in Beziehungen geht.

Wie sonstige Begegnungs-Faktoren werden Milieufaktoren zum Teil bewusst, zum größeren Teil intuitiv aneinander wahrgenommen. Man koppelt sich im Guten wie im Schlechten intuitiv aneinander an. Und man hat über diesen Vorgang genauso viel oder wenig Bewusstheit wie über Grammatik beim Sprechen. Erst wenn die Kopplung Schwierigkeiten bereitet, wird Passung zu einem Thema. Wenn Passung nicht stimmt oder mit der Zeit verloren geht, kann dies allerdings oft nur begrenzt und mit hohem Aufwand bzw. zu überhöhten Kosten kompensiert werden.

Daher ist verständlich, dass bei Passungsproblemen die Antwort oft eher in New- oder Right-Placement, wie das neuerdings heißt, gesucht wird als in Zusatzqualifikationen. Es ist oft leichter, das zu einer wie auch immer gewachsenen Eigenart eines Menschen passende Milieu zu finden, als ihn auf ein gegebenes Milieu zu trimmen. Dies erfordert jedoch eine Neuorientierung der damit befassten Berufsstände, wie etwa neue Strömungen der Personalberatung in den USA.8 Allerdings sollte dabei das Aushalten und Durchleben von Passungsproblemen als Motor für Entwicklung nicht aus den Augen verloren werden. Einschätzungen, welcher Fall eher gegeben und welche Lösungsrichtungen chancenreicher sind, gehören zu den wesentlichen Dimensionen des professionellen Urteilsvermögens.  

 

1 vgl. Bernd Schmid, Joachim Hipp (1999): Metamorphosen der Teamentwicklung, in: Zeitschrift für Organisationsentwicklung (ZOE), 03/99, S. 66-72; siehe auch: Systemisches Teamcoaching. Was ist das eigentlich?, in: Bernd Schmid, Arnold Messmer: Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung, S. 197-205
2 vgl. Bernd Schmid, Thorsten Veith, Ingeborg Weidner (2010): Einführung in die kollegiale Beratung, Heidelberg.
3 z.B. Kulturbegegnungsmodell der Kommunikation. siehe: Bernd Schmid, Sabine Caspari (2003): Organisationsberatung als Begegnung von Wirklichkeiten und Kulturen, in: Organisationspsychologie aktuell, Heft 01/2003.
4 vgl. Bernd Schmid (2007): Milieu – ein oft wenig beachteter Faktor, in: OSC – Organisationsentwicklung Supervision Coaching, 01/10.
5 vgl. Gerhard Schulze (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt, New York. (insbesondere Kapitel 4: Theorie der Milieusegmentierung)
6 vgl. Bernd Schmid, Christiane Gérard (2010): Intuition und Professionalität, Heidelberg.
7 Einige der hier vertretenen Ideen entstanden im Dialog mit Wolfram Jokisch, 17.4.2007
8 vgl. Richard N. Bolles (2002): What Color Is Your Parachute?, Berkeley.

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