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Zur Zukunft der Telearbeit
Die moderne Informationstechnologie wandelt Büroarbeit in Telearbeit. Arbeiten im Home-Office breitet sich immer mehr aus. Wird Arbeit künftig zur Überallarbeit? Bietet Telearbeit doch viele Vorteile: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wegezeit- und Energieersparnisse, flexible Arbeitszeitgestaltung und vieles mehr. Dagegen besteht jedoch auch die Gefahr der Selbstausbeutung und sozialen Isolation. Und viele Führungskräfte fürchten Kontroll- und Machtverluste.

        


 
as Büro ist eine Erblast der Industriegesellschaft. In ihr mussten Arbeit und Wohnen räumlich getrennt werden. Noch werden die verwaltend tätigen Menschen an einem Ort versammelt, um zu arbeiten. So sind die benötigten Informationen schnell verfügbar. Doch das stationäre Arbeiten wird mehr und mehr durch das »Überallarbeiten« ergänzt. Die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) schuf die Voraussetzungen hierfür. Das Home-Office wurde zum Netzwerkknoten im Intra- und im Internet. Arbeitsort und Arbeitszeit entkoppeln sich infolge von E-Work.

Die Begriffe »E-Work« oder »Telearbeit« bezeichnen jene Form von Arbeit, die mittels moderner IKT gänzlich oder zeitweise außerhalb des Unternehmens flexibel in der Zeiteinteilung erbracht wird. Sie kann in häuslicher Umgebung, unterwegs oder in eigens errichteten Büros außerhalb der Firma verrichtet werden. Eine Verbindung des Telearbeitsplatzes mit dem Unternehmen wird dabei über das Internet und sonstige elektronische Kommunikationsmittel sichergestellt. Man benötigt wenig Raum und Ausstattung. Diese Arbeitsform eignet sich für alle Tätigkeiten, die am Computer erbracht werden, und das werden immer mehr. Es gibt kaum noch Arbeitsgebiete, die nicht zumindest teilweise für E-Work geeignet wären.

Die vielen Facetten der Telearbeit
Telearbeit vollzieht sich in zwei Hauptformen: 1. Als Teleheimarbeit, also in der Wohnung des Arbeitnehmers oder 2. alternierend, zeitweise zu Hause und zeitweilig an einem Arbeitsplatz im Unternehmen, den der Mitarbeiter gegebenenfalls im Rahmen von »Desk Sharing« mit anderen Kollegen teilt. Hier verschmelzen sich Home-Office und Firmenoffice, Einzel- und Gemeinschaftsarbeit. Dieses ist die am meisten verbreitete Form der Telearbeit und wohl die mit dem größten Wachstumspotenzial. Es schält sich immer mehr ein Modell heraus, das aus zwei bis vier Präsenztagen und ein bis drei Heimtagen besteht.

E-Work muss nicht ausschließlich im Home-Office des Arbeitnehmers erbracht werden. Auch die Auslagerung in eigens eingerichtete Satelliten- oder Nachbarschaftsbüros ist möglich. Von Satellitenbüros spricht man dann, wenn das Unternehmen extern, in räumlicher Nähe zu den Wohnorten der Arbeitnehmer, Büroräume einrichtet. Werden diese von mehreren Unternehmen angemietet und genutzt, bezeichnet man sie als Nachbarschaftsbüros.

Der E-Worker kann im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses sowohl als Arbeitnehmer, Freiberufler, Selbstständiger, Heimarbeiter oder auch als arbeitnehmerähnliche Person tätig werden. Zur exakten Bestimmung des Rechtsverhältnisses ist dabei nicht die Bezeichnung im zugrunde liegenden Vertrag maßgebend, sondern die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung erbracht wird. So kann es unter Umständen passieren, dass zwischen Arbeitgeber und Telearbeiter ein Selbstständigenverhältnis vereinbart wurde, der »FreE-worker« tatsächlich aber die Merkmale eines Arbeitnehmers (Fremdnützigkeit der Arbeit, Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betrieb, soziale Schutzbedürftigkeit) aufweist. Es ist anzunehmen, dass mehr und mehr angestellte E-Worker in »Tele-Ich AGs« umgewandelt werden.

Telearbeit im Aufwind
Für 2008 wurde der Anteil an Telearbeitnehmern in einer vom Büromaschinenhersteller Brother in Auftrag gegebenen Studie mit 6,8 Prozent angegeben. Hier wird ein Zuwachs bis 2020 auf 81 Prozent prognostiziert. Der Autor des Buches Morgen komm ich später rein, Marcus Albers, schreibt, dass etwa 20 Prozent aller deutschen Unternehmen Telearbeit anbieten. Im Jahre 2000 waren es erst 4 Prozent. 2008 veröffentlichte das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation eine Studie zur Zukunft der Telearbeit. Darin schätzten 61 Prozent von 516 befragten Experten aus Unternehmen, Wissenschaft und Forschung, dass bis 2013 etwa ein Drittel aller Beschäftigten Telearbeit praktizieren wird.

Das Jahr 2013 steht vor der Tür. In Kürze schon ist ein Abgleich von Prognose und Realität möglich. Das gilt auch für eine Schätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aus dem Jahre 2004, nach der sich die Zahl der E-Worker bis 2014 vervierfachen wird. 2004 zählte das Statistische Bundesamt 5,1 Millionen E-Worker. Bis 2014 müssten es demnach 20,4 Millionen sein. Das bedeutet dann, dass jeder zweite Erwerbstätige voll oder teilweise in E-Work einbezogen sein wird. Zwecks größerer Gewissheit sei darauf hingewiesen, dass sich viele der vor eineinhalb Jahrzehnten abgegeben Prognosen als zu optimistisch erwiesen haben.

Vorstehende und ähnliche Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, denn das Objekt Telearbeit wird unterschiedlich definiert und demzufolge unscharf beschrieben. So wollte das SIBIS-Projekt (Statistical Indicators Benchmarking the Information Society) schon 2002 erkannt haben, dass 13 Prozent aller Erwerbstätigen Telearbeit betreiben. In einigen Studien werden nur die klassischen Telearbeitsplätze gezählt, in anderen aber alle Formen mobiler Telearbeit. Legt man diesen Ansatz zugrunde, dann arbeiten heute schon 46 Prozent mobil, so die Meinung der Future Foundation, die für Brother die oben erwähnte Studie erstellte. Der Anstieg ist vor allem auf hunderttausende Außendienst- und Servicemitarbeiter zurückzuführen, die ihre Verkaufszahlen oder Arbeitsstunden per Laptop der Zentrale melden und hierfür entsprechend Zeit benötigen. Zu erwähnen wären noch einige hunderttausend Führungskräfte, die nach Feierabend nochmals auf das Smartphone schauen und E-Mails beantworten.

Führung von Telearbeitern
Viele Aspekte von Telearbeit beziehungsweise E-Work wurden in den vergangenen zwanzig Jahren beleuchtet. Aber das Thema Führung von E-Workern fand kaum Beachtung. Dabei ist das Misstrauen der Vorgesetzten das größte Hindernis einer weiteren Verbreitung von E-Work. In vielen Studien kann man nachlesen, dass Führungskräfte einen immensen Kontrollverlust befürchten, wenn Führungsfunktionen zwangsläufig auf die E-Mitarbeiterschaft übertragen werden. Das ist nach Meinung der Forscher des EU-Projekts eGap der Grund, warum viele Unternehmen bei der Telearbeit eher auf die Bremse treten.

Das Konzept des sogenannten Super-Leaderships könnte Antworten geben und weist auch weiterhin die Richtung des Nachdenkens. Gedanklicher Ausgangspunkt ist die Verlagerung der Führungsaufgaben auf den Mitarbeiter. Dieser müsste nunmehr seine Arbeitssituation eigenverantwortlich und unabhängig vom Vorgesetzten gestalten. Diese Situation ist auf das vom Individuum zu erbringende E-Working zu übertragen. Führungsverantwortung kann bei Fernführung kaum wahrgenommen werden, zumal die Ausführungskontrolle weitestgehend durch die Ergebniskontrolle ersetzt wird. Das Verhältnis von Führer und Geführten wird im Idealfall gleichberechtigter.

Super-Leadership könnte das für alle Formen von E-Work adäquate Führungskonzept sein. Das auch deshalb, weil auf den E-Worker am ehesten der Begriff High-Performer zutrifft, denn diese Spezies von Mitarbeitern arbeitet mit hoher Selbstmotivation, Selbstorganisation und Selbstdisziplin. Telearbeiter haben keine Möglichkeit, bei Problemen den Bürokollegen zu fragen, bekommen kein unmittelbares Feedback bei guter Leistung, sondern müssen sich selbst zu helfen wissen.

Man muss bei der Diskussion zum Thema Führung von E-Workern natürlich genau hinsehen, um welche Art von Telearbeit es sich handelt. Das Führungsverhalten gegenüber einem Mitarbeiter, der den ganzen Tag Datensätze eingibt und anteilig im Stücklohn bezahlt wird ist ein anderes als gegenüber einem angestellten Journalisten, der fertige Artikel abliefert. Selbst, wenn man sich an der Idee der Selbstführung orientiert, sind Verhaltensanpassungen des Vorgesetzten je nach Persönlichkeit des Mitarbeiters und Arbeitssituation notwendig. Die Grundidee der »situativen Führung« behält ihre Gültigkeit.

Quo vadis Telearbeit?
Ob und inwieweit sich die Telearbeit entwickelt oder ihren Höhepunkt erreicht hat, wird von den Experten unterschiedlich bewertet. Schon einmal, Anfang der neunziger Jahre wurde das Thema heiß gehandelt, kühlte dann aber merklich ab. In diesem Zusammenhang sollte man sich an den Videokonferenz-Hype und die E-Learning-Welle erinnern. Beide Themen verloren im Laufe der Zeit ihre Strahlkraft.

Nach wie vor wird das Thema Telearbeit kontrovers diskutiert. Es gibt Experten, die in der Technik die entscheidenden Treiber des weiteren Voranschreitens der Telearbeit sehen, vor allem im Bandbreitenwachstum, der Speicher- und Kameratechnologie und im Web 2.0. Uns erwartet eine »Total-Recall-Technologie«, wie es der Chef-Futurologe der British Telecom, Ian Pearson, ausdrückt. Er sieht in der Telearbeit eine vorübergehende Erscheinung, einen weiteren Schritt hin zur informatisierten Maschinengesellschaft. Die reine Tele-Heimarbeit in Form einfach strukturierter Daten- oder Texteingabe hat keine Zukunft. Die Art von Arbeit erledigen zukünftig Lesegräte oder andere technische Hilfsmittel.

Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Pro-Argumente wurden schon in den 1990er Jahren genannt: die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wegezeit- und Energieersparnisse, effizientere Nutzung von Büro- und Parkflächen, reduzierter Krankenstand, ungestörtes Arbeiten in den eigenen vier Wänden, flexible Arbeitszeitgestaltung und Beschäftigungsmöglichkeiten für Mütter und Behinderte. Entsprechend unterschiedlich war auch das Interesse am Thema. Studien aus der Frühzeit der Telearbeit hatten psychologische, IT-technische, arbeitsrechtliche, bürotechnische, energie- und familienpolitische Aspekte zum Inhalt.

Es bleibt jetzt abzuwarten, ob der prognostizierte Fachkräftemangel der Telearbeit Wachstumsschübe gibt, wie es die Forscher der Brother-Studie vermuten. Sie glauben, dass Unternehmen nun auch in Nischen nach qualifizierten Arbeitskräften suchen, so etwa bei jungen Müttern. Außerdem werden attraktive Arbeitsbedingungen unter Einbeziehung von E-Work zu einem wichtigen Lockmittel für sogenannte High Potentials. Der Verfasser dieses Artikels ist hier eher skeptisch. Für ihn sind Wachstumsimpulse aus dem Trend zur Projektifizierung, die nationale und internationale Netzwerkkooperationen mit sich bringen, wahrscheinlicher.

Eine nicht unbeträchtlich große Zahl anderer Experten sieht die Telearbeit-Expansion eher skeptisch. Deren Argumente sind aus den 1990er Jahren bekannt: Die Sorge der Vorgesetzten vor Kontroll- und Machtverlust, Karriereeinbußen infolge der Abwesenheit vom Büro, die Gefahr der Selbstausbeutung, soziale Isolation und fehlender Ideenaustausch im persönlichen Gespräch, um nur die wichtigsten zu nennen.

Umstritten ist auch die angeblich höhere Produktivität der Telearbeit. 76 Prozent E-Worker gaben in einer 2006 durchgeführten Studie an, per Telearbeit produktiver zu sein als im Büro, aber nur 61 Prozent der Vorgesetzten waren von der höheren Produktivität überzeugt (Computerwoche 6⁄2006). Nach einer 2007 in den USA durchgeführten Metastudie mit 12.833 beteiligten Teleworkern ist »Telearbeit... eine Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, mit dem Ergebnis einer besseren Motivation und Jobzufriedenheit sowie verringertem Stress und Kündigungen auf Arbeitnehmerseite« (zitiert nach Albers: 124). Man muss konstatieren, dass die USA in der empirischen Aufbereitung des Phänomens E-Work⁄Telearbeit weiter sind als die Europäer und man deshalb von einer gewissen Validität der Aussagen ausgehen kann.

Wie immer die konkreten Zahlen zum Verbreitungsgrad aussehen, Telearbeit hat sich zu einem festen Bestandteil der modernen Arbeitswelt entwickelt und wird deshalb eine wichtige Rolle im Gefüge des Gesamtsystems Arbeit spielen. Die Voraussetzungen sind gut, denn 22 Millionen Haushalte verfügen über einen DSL-Anschluss und 2,3 Millionen über Kabel-Internet-Anschlüsse. iPad oder Blackberry bilden alle wichtigen Unterlagen und Akten des Büros ab und ermöglichen den Zugriff auf die Unternehmensdaten. Wie wichtig ist der Büroschreibtisch, wenn er an vielleicht nur 150 Tagen im Jahr genutzt wird?
Adam Smith hatte die Trennung von Heim und Arbeit als die wichtigste aller modernen Arbeitsteilungen bezeichnet. Die Wissensgesellschaft könnte diese Trennung wieder aufheben, sodass sich Arbeit und Wohnen »wiedervereinigen«.