Home         Autoren         Newsletter         Kontakt         Impressum

 

Reinhard K. Sprenger:
Aufstand des Individuums. Warum wir Führung komplett neu denken müssen

ISBN: 359336560X
Erscheinungsjahr: 2000
Campus Fachbuch

Wollen Sie dieses Buch kaufen? Klicken Sie hier!

Wie viel Querdenken verträgt ein Unternehmen?

        


 
laubt man Reinhard Sprenger, so ist das 21. Jahrhundert das Zeitalter des Individuums. Der Einfluss der Institutionen wird schwinden und Organisationen werden ihre Starrheit verlieren. Unternehmen, die künftig den Markt beherrschen wollen, müssen ihren Mitarbeitern angepasst werden und nicht umgekehrt. In dem Buch Aufstand des Individuums beschreibt Unternehmensberater Sprenger Voraussetzungen für den Wandel vom egalisierenden Unternehmen konventioneller Art zum individualisierenden Unternehmen zukünftiger Art. Ein Wehrmutstropfen bleibt: Patentrezepte für diesen Wandel bietet Sprenger nicht an.

Im ersten Teil des Buches analysiert Sprenger weit verbreitete Managementmethoden. Diese scheitern nach seiner Einschätzung allesamt an nicht akzeptierter Individualität. Das Modell, das diesen Methoden zugrunde liegt, ist falsch. Die Führungsfalle besteht darin, dass Organisationen verabsolutiert und Mitarbeiter gleich gemacht werden. Aus der Biologie weiß man, dass Monokulturen krisenanfällig sind.

Vorgesetzte beurteilen ihre Mitarbeiter immer noch danach, ob sie fleißig sind und Überstunden machen und nicht danach, ob sie Initiative ergreifen und selbständig Projekte abwickeln können. 360-Grad-Beurteilungen verursachen angepasstes Verhalten. Warum unnötig auffallen? Praktiziertes Führungsverhalten erinnert immer noch sehr an Kindererziehung. Leistungsbeurteilungen sind subjektiv. Feedback ist sinnvoll, aber nur aus der Situation heraus und nicht halbjährlich. Mitarbeiterbefragungen setzen eine bestimmte Antwortenstruktur voraus. Was ist mit den Lücken, die nicht erfragt wurden? Verlieren die nicht an Bedeutung?

Personalentwicklung ist Teil des Problems, als dessen Lösung sie sich ausgibt, weil die Entwicklung in aller Regel in Anpassung besteht. Folge der verkehrten Sicht: Befördert wird soziale Ähnlichkeit. Beziehungen funktionieren zwischen Menschen, wie sie sind, nicht wie sie sein sollen. Von Teams hält Sprenger nichts, weil diese ohne klare Kompetenzen quer zur Hierarchie angesiedelt sind und eine Tendenz zur Mitte haben. Die Kreativität geht unter und der Einzelne verliert seine Identität.

Was ist mit Zielvereinbarungen? Diese sind aus Misstrauen geboren und verleiten zu kurzfristigem Aktionismus. Der Fokus liegt auf den vereinbarten Zielen und die Wahrnehmung ist eingeschränkt. Der dadurch produzierte blinde Fleck ist riesig. Identifikation mit dem Unternehmen führt zu Selbstverneinung. Für sämtliche Managementmethoden gilt: Ohne Konsequenzen bringen sie nichts.

Der zweite Teil des Buches beschreibt das individualisierende Unternehmen. Rezepte werden bewusst nicht angeboten. Die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen, wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Bereits heute ist ein Kampf um Talente erkennbar, auf den sich Unternehmen einstellen müssen.

Wirkliche Führungskräfte sind nicht angepasst, sondern unverwechselbar. Fast eine Banalität: Führende haben Folgende. Kompetenz hat man nur, wenn diese von Mitarbeitern anerkannt wird. Das derzeitige Drama besteht darin, dass wer einmal Führungskraft ist, das in aller Regel bis zum Ende seiner beruflichen Laufbahn bleibt. Wie müssen sich Vorgesetzte verhalten? Sie müssen Mitarbeiter stören, damit diese nicht in die Erfolgsfalle tappen, nach dem Motto: Was einmal gut lief, läuft immer gut.

Entsprechend den Gesetzen der Biologie ist davon auszugehen, dass eine Gruppe unterschiedlicher Mitarbeiter in der Summe mehr Informationen aufnimmt, als eine gleichgeschaltete Gruppe und damit flexibler reagieren kann. Daher ist Individualität zu respektieren. Will man Talente halten, müssen diese richtig eingesetzt werden, im Zweifel zu Lasten der Organisation. Da es künftig zu wenig hochqualifizierte Fachkräfte geben wird, müssen Fachkarrieren mit entsprechenden Freiräumen und angemessener Bezahlung definiert werden. Hierbei muss beachtet werden, dass nicht Geld allein, sondern insbesondere Vertrauen bindet.

Wenn die Meinung des Einzelnen zählt, führt das zu verantwortlichem Verhalten und zu einer Verpflichtung zur Qualität. Führung erfordert Klarheit und Konsequenz. Klärende Gespräche müssen geführt werden. Führungsverhalten muss Konsequenzen haben. Bereits Goethe erkannte: Alle Veränderung resultiert aus Leid. Beschäftigungsgarantie ist unternehmerischer Selbstmord. Entscheidungen sind nur dann erforderlich, wenn es Zweifel hinsichtlich der richtigen Handlungsalternativen gibt. Widersprüchliche Situationen und Entscheidungszwänge sind Existenzvoraussetzungen für die Führungskraft.

Zielvereinbarungen dürfen nicht an Belohnungssysteme gekoppelt werden, weil sie sonst demotivierend wirken. Bildung hält Sprenger für ein wichtiges Kriterium für Führungskräfte. Diese führt zu Menschlichkeit, Entschiedenheit, Respekt und angemessenem Urteil. Bildung macht Menschen einzigartig und unverwechselbar. Individuelle Führung stärkt den Mitarbeiter und richtet ihn nicht zu. Normung ist ein Anschlag auf die Kreativität. Die einzige zu beachtende Regel ist die, dass es keine goldene Regel gibt.

Reinhard Sprengers Perspektive ist die des Individuums. Sein Schreibstil ist verständlich, seine Argumentationen provokativ und unterhaltsam. Er schreibt für ein breites Publikum. Auch jemand, der sonst keine Literatur über Wirtschafts- oder Unternehmenspolitik liest, kann mit Interesse in seine Bücher einsteigen. Auf jeder Seite findet man eine Fülle von interessanten Überlegungen, die zum Nachdenken anregen. Das sind durchweg positive Aspekte.

Was ich in dem Buch vermisse, ist das Aufzeigen von Grenzen. Wie viel Individualität ist wirtschaftlich vertretbar? Für welche Unternehmen bzw. Tätigkeiten in Unternehmen verspricht der individuelle Ansatz Erfolg? Bedenkt man, dass Individualität in Eigensinn ausarten kann, muss die Frage erlaubt sein: Wie viele Querdenker kann sich ein Unternehmen leisten? Wenn es überwiegend um standardisierte Abläufe geht, hat die bisherige hierarchische Ordnung ihre größte Existenzberechtigung, erkennt Sprenger. Trifft das nicht auf viele Tätigkeiten bzw. Unternehmen zu? Da wo Fertigungsabläufe optimiert wurden, kann sich Individualität schnell als Störung auswirken. Gibt es nicht auch viele Situationen, in denen Anpassung die richtige Methode ist? Die Natur kennt nicht nur Kreativität, sondern auch Anpassung als Gegenpol. In diesem Sinne halte ich Sprengers Buch für etwas zu einseitig.