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Herwig Birg:
Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt

ISBN: 3406537499
Erscheinungsjahr: 2005
C.H.Beck

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eutschland wurde international bewundert für das von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts eingeführte Sozialversicherungswesen. Der große Erfolg dieses Systems sei paradoxerweise aber auch Ursache einer negativen, die eigene Funktionsfähigkeit störenden Nebenwirkung gewesen: Dass man sich für seine Altersabsicherung nicht mehr auf den eigenen Nachwuchs verlassen musste, war ein Grund dafür, dass in Deutschland die Geburtenrate stetig zurückging. Da das Funktionieren des Sozialversicherungssystems jedoch mit der Zahl der nachfolgenden Kinder steht und fällt, sieht man sich heute der Herausforderung gegenüber, die soziale Sicherung tiefgehend umzugestalten.
Es sind also vor allem demographische Gründe, die heute dazu zwingen, die Sozialversicherung zu verändern, nicht politische, wie zu Bismarcks Zeiten.

Eben diese Schlüsselrolle der Demographie in der anstehenden Revolutionierung der sozialen Sicherung war Anlass für Herwig Birg, einen Überblick über das Fach Demographie zu bieten. Denn: »Demographie ist in aller Munde, aber was ist das eigentlich für ein Fach, das ständig mit Demoskopie verwechselt wird?« Demographie wird nicht in der Schule gelehrt und der Durchschnittsbürger weiß wohl in der Regel nicht allzu viel darüber. Dennoch – oder vielleicht deswegen – fand eine Anfang 2005 von Birg verfasste Artikelserie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung reges Interesse. Zur Idee zum Buch war es sodann nicht mehr weit: Erweitert um ein Kapitel über die Wissenschaftsgeschichte der Demographie sowie um aktuelle Zahlen, außerdem reichlich mit Schaubildern und Tabellen versehen entstand sein neuestes Buch Die ausgefallene Generation.

Stellvertretend für die Beschreibung des allgemeinen Umgangs mit Demographie – auch durch »Gelegenheitsdemographen«, wie Birg Volks- und Betriebswirte, Politiker und Kulturkritiker, die sich demographischer Argumente bedienen, nennt – zeichnet Birg den Siegszug des Malthusianismus.
Herwig Birg eröffnet sein Buch mit einer Widerlegung von Malthus' Bevölkerungsgesetz, wonach die Menge an Nahrungsmitteln linear und damit langsamer anwachse als die Bevölkerungszahl, die einem geometrischen Wachstumsgesetz folge. Der Autor stellt dar, dass die reale Bevölkerungsgeschichte diese Theorie längst widerlegt habe und fragt nach den Gründen, warum Malthus’ Thesen dennoch immer noch die Vorstellungen vieler Menschen über die Bevölkerungsentwicklung beherrschen.

Anschließend diskutiert Birg herausstehende demographische Phänomene, wie etwa die Bevölkerungsschrumpfung Europas und die demographische Alterung.
Bei seiner Analyse des Geburtenrückgangs stellt Herwig Birg fest, dass allen seit 1940 geborenen Frauenjahrgängen gemeinsam ist, dass ein immer größerer Anteil des Jahrgangs kinderlos blieb – was übrigens auch für die Männer gilt, und zwar mit jeweils höheren Prozentsätzen. Als Grund für die steigende Kinderlosigkeit nennt Birg, dass Menschen, »bei der Wahl ihres Lebenslaufs langfristige Festlegungen durch Kinder oder Partnerbindungen vermeiden oder aufschieben« wollten, »um die Größe ihres potentiellen biographischen Universums – den Möglichkeitsraum biographischer Alternativen in der Außenwelt – mit seiner Vielfalt an Optionen nicht einzuschränken«. Leider lässt es sich der Autor nicht nehmen, mit dem belehrenden Hinweis fortzufahren, dass die Menschen dafür »auf das andersartige, nur durch langfristige Festlegungen erreichbare Universum in der Innenwelt« verzichteten.

Herwig Birg sieht die niedrige Geburtenrate in der Vergangenheit als entscheidenden Grund für die starke demographische Alterung bis 2050, nicht die zunehmende Lebenserwartung – wie gemeinhin dargestellt. Die Bevölkerungsentwicklung zeige auf, dass die Eltern, die heute Kinder zur Welt bringen müssten, niemals geboren wurden. Die ausgefallene Generation lasse sich nicht schnell und einfach kompensieren, da demographische Prozesse träge und nur schwer zu stoppen sind. Im Gegensatz zur Bevölkerungsschrumpfung, die sich durch Einwanderungen aufschieben lässt, sei die demographische Alterung mindestens bis zur Jahrhundertmitte irreversibel.

Herwig Birgs Analyse der demographischen Entwicklung bringt viele interessante Daten und Fakten zutage, die verständlich erklärt und eingeordnet werden. Bei der Darstellung möglicher Auswege aus den durch die ausgefallene Generation aufgeworfenen Problemen am Ende des Buches wird sich beim einen oder anderen Leser dann doch leiser Widerstand regen. So fehle es laut Birg in Deutschland nicht an Erkenntnissen und auch nicht an finanziellen Mitteln, sondern schlicht am politischen Willen für den Weg aus der Krise. Denn der Autor gibt vor zu wissen, dass »die Wähler, die ja mehrheitlich Eltern sind oder es werden wollen«, schon längst Neuerungen wie etwa die »Einführung eines Eltern- bzw. Familienwahlrechts« oder eine »Priorität für Mütter bei Stellenbesetzungen durch Frauen« durchgesetzt hätten.

Die »Versäumnisse auf diesen Gebieten«, mutmaßt der Autor, lägen »an der grassierenden Gedankenlosigkeit und an der üblichen Überbewertung kurzfristiger Ziele, gepaart mit Unkenntnis über deren langfristige Konsequenzen«.
Oder vielleicht auch an Wertvorstellungen, die Raum für Lösungen lassen, welche abseits sturer Fortpflanzungsaufforderungen an Kinderlose liegen?