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Jeremy Rifkin:
Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht

ISBN: 3593374315
Erscheinungsjahr: 2004
Campus Verlag

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ür Jeremy Rifkin scheint eines recht klar zu sein: Der Amerikanische Traum ist verblasst und nicht mehr zeitgemäß. In Europa sieht er dagegen einen neuen Traum entstehen…

Innerhalb nur weniger Jahrzehnte hat es die EU geschafft, zur drittgrößten Regierungsmacht der Welt zu werden. Obwohl die Landfläche Europas mit derjenigen der USA nicht zu vergleichen ist, stellt das Bruttoinlandsprodukt der EU dasjenige der USA in den Schatten. Die Europäische Union ist der weltweit führende Exporteur und bildet den größten Binnenmarkt. In Europa sind viele der größten Unternehmen der Welt ansässig.

Vergleicht man die Lebensqualität in Europa und USA wird noch deutlicher, dass Europa die Nase vorn hat: In der EU kommen auf einen Bürger statistisch gesehen mehr Ärzte und die Kindersterblichkeit ist geringer. Die durchschnittliche Lebensdauer in den 15 höchstentwickelten Eu-Staaten liegt bei 78,01 Jahren – im Vergleich zu 76,9 Jahren in den USA. Die Ungleichheit zwischen reich und arm, Schulerfolge europäischer Kinder, Mord- und Selbstmordraten, die Anzahl der Gefängnisinsassen: Jeremy Rifkin, Präsident der Foundation on Economic Trends und Bestsellerautor, offeriert eine Vielzahl von Indikatoren, die belegen sollen, dass Europa auf der Überholspur ist.

Rifkins Einschätzung geht über eine bloße Bewertung von Statistiken hinaus. Das Buch besteht zu weiten Teilen aus Rifkins philosophischen Betrachtungen über die unterschiedlichen Denkweisen und Beweggründe von Europäern und Amerikanern, worin er die Ursachen für die unterschiedliche Entwicklung sieht.

Was macht Amerika für Rifkin aus? Grenzenlose Hoffnung, Enthusiasmus und großer Optimismus machen die USA zu einem Land der Möglichkeiten und andauernden Verbesserungen sowie des ökonomischen Fortschritts. Klassenunterschiede und die vererbte Weitergabe von sozialem Status werden gemieden. Es herrschen demokratischer Geist und der Glaube, dass jedermann allein aufgrund seiner Verdienste beurteilt werden solle.

Der Amerikanische Traum ist für Rifkin zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Aber er stellt die Frage, ob die damit ausgedrückten Werte und Überzeugungen für die heutige Welt noch passend sind. Oder bietet nicht das europäische Modell bessere Chancen, der globalen Zukunft zu begegnen? Jeremy Rifkin beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja.

Es ist zwar richtig, dass Menschen auf der ganzen Welt amerikanische Kultur leben und amerikanische Produkte verwenden. Amerika wird auch beneidet, aber nicht länger bewundert – so wie das früher der Fall war. Der Amerikanische Traum – einst so begehrt – wandelte sich zu einem Ziel des Spotts. Er wird als unmodern angesehen und – noch schlimmer - als etwas Furchterregendes oder sogar Verabscheuungswürdiges.

Demgegenüber formieren sich die »Vereinigten Staaten von Europa«, die eine transnationale Vision mitbringen, die Europäer entwickeln ein neues globales Bewusstsein, das über die Grenzen ihrer Nationalstaaten hinausreicht.

Wie sehr sich die EU von den USA unterscheidet, macht Rifkin an der Europäischen Verfassung fest: Für Amerikaner unvorstellbar ist das Fehlen eines Gottesbezugs und eines klaren Bekenntnisses zu Privateigentum, freien Märkten und Handel. Genauso erstaunlich mag es für Amerikaner sein, was die Verfassung beinhaltet: nachhaltige Entwicklung basierend auf ausgeglichenem ökonomischen Wachstum, soziale Marktwirtschaft, Schutz und Verbesserung der Qualität der Umwelt, Förderung des Friedens, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung, Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichheit zwischen Mann und Frau, Solidarität zwischen den Generationen und Schutz von Kinderrechten.

Die Ursachen für die Unterschiede zwischen Amerikanischem und Europäischem Traum sieht Rifkin in den in ihrem Kern diametral entgegen gesetzten Vorstellungen über Freiheit und Sicherheit. Während der Amerikanische Traum ökonomisches Wachstum, persönlichen Reichtum und Unabhängigkeit betont, fokussiert der Europäische Traum auf nachhaltige Entwicklung, Lebensqualität und gegenseitige Abhängigkeit. Der Amerikanische Traum ist sehr persönlich und kümmert sich wenig um den Rest der Menschheit. Der Europäische Traum reicht weiter und ist daher stärker an das Wohlergehen des Planeten gebunden.

Die USA und Europa hatten zwar immer schon viel gemeinsam – so war etwa die Französische Revolution von 1789 direkt inspiriert durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Blickt man genauer hin, entdeckt man jedoch schon damals große Gegensätze: während die amerikanische Unabhängigkeitserklärung das Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit behauptete, lautete die Forderung nach dem Fall der Bastille: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«.

Obwohl Jeremy Rifkin dem europäischen Modell die bessere Eignung zur Bewältigung der zukünftigen globalen Herausforderungen zuspricht, sieht er dennoch Europa nicht kritiklos als Wunderland. Die Brüsseler Regierungsmaschine der Europäischen Union beurteilt er als bürokratisches Monster, deren Beamte abgerückt von und unempfänglich für die wahren Bedürfnisse der europäischen Bürger sind. Rifkin betrachtet außerdem die Feindseligkeiten gegenüber Immigranten und Asylbewerbern, die Diskriminierung religiöser Minderheiten als Gefahr für die EU. Und eine Diskrepanz liegt für ihn auch darin, dass die Europäer die militärische Vorherrschaft der Amerikaner zwar nicht gutheißen, trotzdem aber bereit sind, ihre eigenen Sicherheitsinteressen durch amerikanischen Truppen verfolgen zu lassen.

Alle diese Probleme lassen Rifkin jedoch nicht daran zweifeln, dass das europäische Modell die größeren Zukunftsaussichten hat. Zu diesem Schluss kommt er, weil es seiner Meinung nach nicht entscheidend sei, wie der jeweilige Traum umgesetzt wird, da auch der Amerikanische Traum nie vollends Realität wurde. Wichtiger sei, dass Europa eine neue Vision artikulierte, die sich fundamental von der amerikanischen unterscheidet.

An diesem Punkt verwundert, wie vereinfachend Rifkin sich über die Probleme, die er dann doch in Europa erkennt, hinwegsetzt. Er nennt zwar die Risiken und Gefahren des europäischen Modells, beleuchtet diese jedoch unzureichend; den Chancen kommt dabei übergroßes Gewicht zu, sodass er sich durch nichts von seiner Favorisierung des Europäischen Traums abbringen lässt. Und letzten Endes kommt es doch auf die Realisierung des Traums an – mit Träumen allein lassen sich die Probleme der Zukunft bestimmt nicht in den Griff bekommen.

Allerdings drückt Rifkin Zweifel an der Stärke des Europäischen Traums aus: Wird Europa am Bekenntnis zu kultureller Vielfalt und friedlicher Koexistenz festhalten, wenn es zu Terrorattacken wie 9⁄11 kommt? Würden Europäer das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung aufrechterhalten, wenn es zu einer globalen Depression käme?
Gerade in letzter Zeit bewegt sich einiges weg von dem, was Rifkin an Europa preist: In Deutschland wird über höhere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich gesprochen. Wenn es um die Wiederherstellung der angeschlagenen Wettbewerbsfähigkeit geht, ist man also auch in Europa schnell dabei, die goldene Kuh Freizeit zu schlachten.

Fragwürdig ist auch die Behauptung, dass sich der neue Europäische Traum in der gemeinsamen Verfassung ausdrücke. Wieder vereinfacht Rifkin an dieser Stelle zu stark. Das Europa, von dem Rifkin schreibt, beinhaltet Polen und Portugal, Großbritannien und Griechenland, Länder die so verschieden sind, wie sie sich auch jeweils von den USA unterscheiden. Daher stellt sich die Frage: wer träumt den Traum, von dem Rifkin spricht? Und falls es wirklich ein europäisches Selbstverständnis geben sollte, ist das Verfassungsdokument wirklich dessen gemeinsamer Ausdruck? Im besten Fall kann bei einer solchen Vielfalt wohl von einem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Mitgliedstaaten die Sprache sein. Oder wird der Traum geformt vom größten Mitglied, dem stärksten oder dem lautesten?

Trotz all dieser Einwände beinhaltet das Buch interessante Sichtweisen, bemerkenswerte Einblicke in das unterschiedliche Wesen von Europäern und Amerikanern, die dabei helfen, die transatlantischen Beziehungen besser zu verstehen. Und aus europäischer Sicht bietet das Buch nach all den pessimistischen Zukunftsausblicken der letzten Zeit eine aufbauende und mutmachende Lektüre.