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Horst W. Opaschowski:
Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben

ISBN: 3867741042
Erscheinungsjahr: 2010
Murmann Verlag

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ie Krise lässt die Menschen näher zusammenrücken. Während das Misstrauen gegenüber Politik und Wirtschaft wächst, nimmt das Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen zu. Es findet eine Abkehr von einem auf Konsum gebauten Wohlstandsstreben statt, Wohlstand wird heute anders definiert: im Sinne von persönlichem und sozialem Wohlergehen. Zwar möchte man weiterhin gut leben, aber dies hat nach Meinung der Menschen immer weniger mit »viel haben« zu tun. Die Lebensqualität muss wachsen und dies ist keine Geldfrage.

Dass die Zeit der Egomanen vorbei ist, konstatiert Horst W. Opaschowski in seinem neuesten Buch Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben. Seine Erkenntnisse basieren auf einer Studie zum Wertewandel der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, dessen Wissenschaftlicher Leiter Opaschowski ist. Im Rahmen dieser Studie wurden 2000 Personen ab 14 Jahren repräsentativ nach ihren Wertorientierungen und Lebensgewohnheiten gefragt. Die eindeutige Botschaft dieser Studie ist: Die Menschen suchen wieder mehr Zusammenhalt. »Für Egoismus ist in unserer Gesellschaft immer weniger Platz. Wir müssen mehr zusammenhalten«, sagen 88 Prozent der Bevölkerung.

Vor allem die Jugend blickt optimistisch in die Zukunft: Obwohl es ihr objektiv schlechter geht als ihrer Elterngeneration, Probleme einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft auf sie warten, meinen 87 Prozent der 14- bis 34-Jährigen: »Bei mir überwiegt die positive Einstellung zum Leben. Ich blicke optimistisch in die Zukunft.« Trotz nicht allzu rosiger Zukunftsaussichten will diese Generation etwas aus ihrem Leben machen, von Jammern oder Selbstmitleid hält sie wenig. Dabei verfolgen die jungen Leute das Ziel, besser zu leben und nicht mehr zu haben.

Opaschowski verbannt auch den »glücklichen Single« ins Reich der Mythen. »Gemeinsam statt einsam« heißt heute die Devise. Das Modell des Alleinlebens passt nicht mehr zur Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit, die sich breit macht. Die Menschen rücken zusammen, was sich auch in einer Rückkehr der Rücksichtnahme und dem Willen zu freiwilligem sozialen Engagement ausdrückt. Für 90 Prozent der Bevölkerung »ist und bleibt die Familie das Wichtigste im Leben«. Das Singledasein wird abgelöst von einer Renaissance der Familie: Die Leute zeigen wieder mehr Mut zu dauerhaften Bindungen.

Aber auch Freundschaften werden im Leben der Menschen immer wichtiger, Freunde werden als eine Art »zweite Familie« betrachtet. Für die soziale Geborgenheit werden Wahlverwandtschaften zunehmend bedeutender. Der Familienbegriff erweitert sich, Wahlverwandtschaften bekommen fast die gleiche Bedeutung wie Blutsverwandtschaften. Zusätzlich wird auch der Wert der Nachbarschaften wieder entdeckt.

Und auch die Arbeitswelt wandelt sich: Individualismus und Egoismus werden im Wirtschaftsleben eine weniger präsente Rolle spielen, vielmehr wird sich die Arbeitswelt der Zukunft auch mehr ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen. Damit Leistung und Lebensgenuss in ein Gleichgewicht kommen, wird jeder sein eigener Unternehmer.

Wenn Horst W. Opaschowski von einem neuen Gemeinschaftsgefühl spricht, dann beschreibt er kein Gutmenschentum im Sinne praktizierter Nächstenliebe. Die Menschen verfolgen eine sehr pragmatische, kalkulierte Hilfsbereitschaft. Das Ich behält trotz des aufgehenden Gemeinschaftsgeistes eine starke Bedeutung, dennoch profitieren alle von der neuen Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit: »Ich helfe dir, damit auch du mir hilfst.«

Opaschowskis Buch zeichnet ein wohltuendes Bild der deutschen Gesellschaft, gar eine Aufbruchsstimmung kann man ausmachen: Während sich in den Medien die Krisenstimmung verbreitet, stellt sich auf der persönlichen Ebene ein optimistisches Lebensgefühl ein. Verantwortung für sich und andere kehrt zurück. Opaschowski beschreibt die Gesellschaft als eine solidarischere. Einstweilen beschleicht einen bei der Lektüre das Gefühl, ob Opaschowskis Brille nicht doch zu rosarot ist. Ruft man sich etwa die Ergebnisse von Wilhelm Heitmeyers Langzeituntersuchung Deutschen Zustände ins Gedächtnis, so wird dort eine zunehmende Entsolidarisierung festgestellt. Hat, wie Opaschowski meint, die Krise tatsächlich nur das Beste aus den Leuten herausgeholt? Aber wahrscheinlich liegt – wie so oft – die Wahrheit irgendwo dazwischen.